Am 29. Oktober berichtet Dieter Meister im Berchtesgadener Anzeiger:
Ode an das Leben
Musik des 16. und 17. Jahrhunderts mit dem »Ensemble Antiphonus« und »Concerto dei venti« in der Christuskirche
Berchtesgaden – »O Jesu Christ, meins Lebens Licht« von Johann Sebastian Bach, mit drei Barockposaunen und Zink gespielt, dazu noch zwei Litui, was etwa der sogenannten Naturtrompete in B entspricht, hervorragend untermalt von vier Vokalstimmen – das ist ein Hörgenuss, der neu erscheint, aber in Wahrheit »alt« ist, nämlich aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Zum einen nimmt die Musik der Renaissance und des Frühbarock selten einen Platz in den Konzerten der Gegenwart ein, andererseits haben wir längst »andere« Hörgewohnheiten entwickelt. Die Menschen empfinden die Musik, die vor rund 350 Jahren als normal gesehen und gehört wurde, als ungewöhnlich und, im schlechten Falle, als befremdlich. Umso mehr sind die gemeinsamen Konzerte des kroatischen Ensembles »Antiphonus« und von »Concerto dei venti« aus Bad Reichenhall eine gute Gelegenheit, in die musikalische Vergangenheit hineinzuhören, und darüber hinaus ein fast unbeschreiblicher Genuss.
Die Sänger und Musiker vom Ensemble »Antiphonus und Concerto dei venti« gastierten schon mehrfach in der Christuskirche. Und haben sich bereits einen »Fan-Kreis« zusammengespielt. Mit, so drückte es einer der Stammbesucher aus, »Musik für die Seele«.
Es ist Musik, die selten gespielt wird. Sagt Robert Schlegel, Posaunist und »Kopf« von »Concerto dei venti«. Am Anfang stehen die Schlacht und die unausweichlichen Beerdigungen der Gefallenen: »La Battaglia Tagliana« von Herman Matthias Werrecore, dann folgt der erwähnte Bach, der wohl für die meisten ebenso unbekannt sein dürfte wie das Stück vom Flamen Werrecore, weil es in dieser ungewöhnlichen Besetzung kaum gespielt wird. Das Wehklagen der Zurückgebliebenen folgt der »Programmmusik«, die dann über das Leben philosophiert und auch die Liebe nicht vergisst.
Nach »De profundis clamavi« des ebenso fast vergessenen Komponisten Ludwig Senfl sind die drei großen »S«: Johann Heinrich Schein, Heinrich Schütz und Samuel Schein. »Unser Leben währet siebenzig Jahre.« Und wenn es »hoch kömmpt so sinds achtzig Jahr« heißt es bei Johann Heinrich Schein. Denn, so heißt es in diesem Lied weiter: »Denn es fehret schnell dahin als flögen wir davon.« Das ist wohl keine neue Lebensweisheit, aber ein erfrischend freier Blick auf die Gedanken der Menschen, die Hunderte Jahre vor uns lebten.
Das »Steh auf meine Freundin« ist eine fast erotische, mindest aber euphorische Hymne auf das Erwachen der Natur und der Gefühle von Heinrich Schütz, dem der instrumentale »Canzon bergameasca« von Samuel Scheidt folgt.
Es ist homogene Genussmusik, die »Concerto dei venti bietet«. Dem in Bad Reichenhall verankerten Orchester, deren Mitglieder wohl vorwiegend die Hochschule der Künste in Bremen haben, besteht aus den Posaunisten Robert Schlegl, Emily Saville und Adam Bregman, Hans Brüderl ist der Lautist, Bernhard Prammer der Organist und mit den Zinken sind Martin Bolterauer und Katharina Haun zu hören, Veronika Gruchmann und Wolfgang Gaisböck sind die Trompeter des Ensembles.
Das Ensemble »Antiphonus«, das bisher alle Konzerte in der Christuskirche gemeinsam mit »Concerto dei venti« bestritt, setzt sich aus den Sängerinnen Anabela Baric (Sopran) und Martina Borse (Alt) sowie den Tenören Ivan Bingula und Sinisa Galovic zusammen. Leiter des Ensembles ist Tomislav Facini, der auch die Basspartie bedient.
Dieter Meister